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Dr.
med.Jochen Kubitschek zum Thema medikamentöse Behandlung der
Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)
Lebt Zappelphilipp gefährlich?
Die
bei der Behandlung der sog. Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Störung
(ADHS) zum Einsatz kommenden Arzneimittel werden von Experten
verdächtigt zahlreiche gefährliche Nebenwirkungen zu haben.
Medikamenten wie Ritalin®, Equasym ® oder Concerta ® wird ein
starkes Suchtpotential nachgesagt. Außerdem rufen sie wahrscheinlich
psychotische Sinnestäuschungen (Halluzinationen) hervor und
sollen in seltenen Fällen sogar tödliche Herzkrankheiten verursachen.
von
Dr. med. Jochen Kubitschek
Immer
mehr Eltern hissen beim Umgang mit ihren unerzogenen Sprößlingen
die weiße Fahne und ersetzen die in der Vergangenheit üblichen
konsequenten Erziehungsanstrengungen durch die Gabe umstrittener
Psycho-Drogen. Ähnlich wie in anderen Ländern auch, stellt insbesondere
die sog. Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)
in Deutschland, Österreich und der Schweiz hohe Anforderungen
an die schwachen Nerven von Mama und Papa. Wenn die lieben Kleinen
nicht mehr darauf hören was die Eltern zunehmend gereizt vorzutragen
haben -und außerdem nicht in der Lage oder gewillt sind das
heilige Donnerwetter stillsitzend über sich ergehen zu lassen
- dann hat die Stunde von Medikamenten wie Ritalin, Equasym
oder Concerta geschlagen. Dem Wirkstoff Methylphenidat
wird seit Jahren nachgesagt, daß er den Kindern hilft, sich
so zu verhalten, daß für alle Beteiligten wieder erträgliche
soziale Beziehungen möglich werden. Doch nicht nur Kinder leiden
unter der psychischen Störung. Experten meinen, daß bis zu 4%
der Erwachsenen eine ADHS haben.
Die
Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic verweist auf
ihrer Website auf ein erhöhtes politisches Interesse an dem
Thema und führt dies auf zwei Faktoren zurück: einmal wird
Methylphenidat immer häufiger verordnet und zum zweiten
handelt es sich beim ADHS um eine sehr „schwammige“
Diagnose, die vielfältige Deutungsmöglichkeiten eröffnet. Wenn
eine Diagnose nicht eindeutig festzumachen ist, dann schlägt
im Einzelfall möglicherweise die Bequemlichkeit der Eltern voll
durch und dies führt zu überflüssigen und schädlichen Verordnungen
von Methylphenidat. Eine amerikanische Studie zeigte
in diesem Zusammenhang sogar, daß jede zweite Diagnose falsch
ist. Somit erhalten jenseits des Atlantik 50% der kleinen Patienten
die umstrittenen Medikamente ohne ausreichende medizinische
Begründung.
Das
latent schlechte Gewissen der Erziehungsversager wird von diesen
mit der Annahme beruhigt „Die Tabletten werden schon nicht
schaden.“ Doch dies trifft leider nicht immer zu.
Im
Februar hat ein hochkarätiges Expertengremium der US-amerikanischen
Arzneimittelbehörde FDA vorgeschlagen, die in den USA für die
Behandlung des ADHS zugelassenen Medikamente mit der „Black
Box“ zu kennzeichnen. Damit ist der stärkste mögliche
Warnhinweis gemeint, den die mächtige Aufsichtsbehörde anordnen
kann. Allein in den USA werden von Ärzten pro Monat im Zusammenhang
mit dem ADHS etwa 2 Millionen Rezepte ausgeschrieben.
Ursache
dieser vorgeschlagenen Extrem-Maßnahme der FDA ist der Umstand,
daß es in den USA im Zusammenhang mit der medikamentösen
Therapie der ADHS seit 1999 unter Kindern und Erwachsenen zu
51 Todesfällen gekommen ist – ein hoher Anteil wurde auf
akute Herzschäden zurück geführt. Allerdings ist es kaum möglich
einen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen den Medikamenten
und den jeweiligen Nebenwirkungen zu beweisen. In vielen
Fällen ließ sich auch nicht mehr ermitteln, ob bereits
vor Therapiebeginn ein nicht erkannter Herzschaden vorlag.
Das
Beratergremium der FDA riet aufgrund der Schwere von möglichen
Nebenwirkungen wie plötzlicher Kindstod oder Herzinfarkt zu
drastischen Warnhinweisen auf den Medikamentenpackungen. Doch
nur 4 Wochen später hat sich eine zweite Expertengruppe -
die einflußreiche paediatric commission der FDA - gegen die
„Black-Box-Warnung“ ausgesprochen. Diese Experten
waren der Meinung, daß das errechnete Sterberisiko bei Einnahme
der ADHS-Medikamente von lediglich 1:100.000 so drastische Warnungen
nicht erforderlich macht. Ihrer Meinung nach sind „deutlichere“
Warnhinweise in Umgangs-Englisch ausreichend.
Diese
abwiegelnde Meinung wird allerdings von kritischen Ärzten und
Verbraucherschützern heftig kritisiert. Zum einen wiesen diese
darauf hin, daß zahlreiche Mitglieder der Expertengruppen enge
Bindungen zur Pharmaindustrie haben, und daher die Gefahren
bewußt herunterspielen. Zum zweiten erinnerten sie daran, daß
allgemein bekannt ist, daß nur zwischen 1% und 10% der
Arzneimittelzwischenfälle an die FDA gemeldet werden. Sie vermuten
daher eine hohe Dunkelziffer.
Mittlerweile hat sich auch Health Canada - die für Arzneimittelsicherheit
zuständige Behörde Kanadas - für deutliche Warnhinweise entschieden.
Und auch in Großbritannien denkt die Medicines and
Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) über drastische
Warnungen nach, da sie den Tod von 9 Kindern in Zusammenhang
mit der Behandlung der von vielen Experten als „Mode-Syndrom“
und „Nicht-Krankheit“ angesehenen ADHS brachte.
Bei
den Experten-Anhörungen kamen neben den Gefahren für Herz und
Kreislauf noch weitere Nebenwirkungen von Ritalin & Co.
zur Sprache. Insbesondere wurde neben dem hohe Suchtpotential
dieser Medikamentengruppe auch die Fähigkeit herausgestellt,
bei kleinen Kindern psychotische Symptome auszulösen –
beispielsweise Halluzinationen und manische Zustände.
Vor
wenigen Tagen haben in Australien fünf Familien den Hersteller
von Ritalin, die Schweizer Firma Novartis, verklagt, da die
Kinder der Familien angeblich nach Einnahme von Ritalin Herzbeschwerden,
bzw. Halluzinationen bekommen haben. Ob ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der Einnahme von Ritalin und den gemeldeten
Nebenwirkungen besteht, wird ein Gericht zu entscheiden
haben.
Prof.
Dr. Gerd Lehmkuhl, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie
der Universität Köln, forderte aufgrund der sich mehrenden Hinweise
auf die mögliche Gefährlichkeit der Medikamentengruppe im Magazin
„Baby & Familie“, daß hyperaktive Kinder
unbedingt zusätzlich zur medikamentösen Therapie eine psycho-
und sozialtherapeutische oder heilpädagogische Therapie erhalten
sollten. “Oft fehlt eine solche Begleittherapie“,
bemängelte der Experte.
Dr.
Steven Nissen, Herzspezialist an der Cleveland Clinic und Mitglied
des Beratergremiums der FDA, brachte das Problem der leichtfertigen
Verordnung dieser potentiell gefährlichen Medikamente und die
Notwendigkeit von deutlicheren Warnungen so auf den Punkt: „Ich
möchte, daß den Ärzten in Zukunft zumindest die Hände ein wenig
zittern wenn sie ein entsprechendes Rezept ausstellen.“
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