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Dr. Kubitschek zum Thema niedrige Obduktionsrate
in Deutschland
 

 

Deutschland: ein Paradies für Mörder? 

 

Pathologen und Rechtsmediziner sind sich einig: Die katastrophal niedrige Rate von Leichenöffnungen gefährdet in Deutschland nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch die Qualität des Gesundheitssystems.  Der Berufsverband Deutscher Pathologen wies in einer Presseerklärung darauf hin, dass die hohe Fehlerquote bei der Todesursachen- und Krankheitsstatistik zwangsläufig auch zu einer fehlerhaften Ausrichtung der Gesundheitspolitik führt. 

 von Dr. med. Jochen Kubitschek

 

So gut wie auf seinem Totenlager sah Opa schon lange nicht mehr aus. Als der Hausarzt zur Leichenschau anrückte, hatte die gramgebeugte Familie schon dafür gesorgt, daß der Verstorbene in seinem besten schwarzen Sonntaganzug steckte. Die ganze Sache hatte nur einen Haken: als sich der hinzugezogene Arzt völlig untypisch verhielt und trotz der heftigen Proteste der trauernden Familienangehörigen darauf bestand, die Leiche im unbekleideten Zustand zu untersuchen, fielen dem Arzt nämlich am Hals des Toten blaue Würgemale auf, die vorher vom Hemdkragen verdeckt wurden. Lange Rede, kurzer Sinn: die Verwandten hatten den Altbauern mit vereinten Kräften auf dem Dachboden aufgehängt, um die Erbfolge nach ihren eigenen Vorstellungen regeln zu können.

 

Mord, Totschlag und auch Selbsttötungen werden oft nicht erkannt 

In diesem Fall gelang es ausnahmsweise, Fremdverschulden nachzuweisen – doch dies ist in Deutschland mittlerweile eher die Ausnahme.  In einer Studie, an der unter der Leitung des Münsteraner Rechtsmediziners Professor Bernd Brinkmann 23 gerichtsmedizinische Institute teilnahmen,  fanden die Mediziner unter 350 Todesfällen, bei denen als Todesart „natürlich“  angegeben war,  92 nicht-natürliche Todesarten, darunter neun Selbstmorde und zehn Tötungsdelikte.

Unter anderem auch aufgrund dieser Studie gehen Experten daher davon aus, daß in Deutschland jährlich bis zu 2.400 Tötungsdelikte nicht erkannt werden.  Als eine Ursache dieser hohen Dunkelziffer nannte der Münchner Rechtsmediziner
Prof. Eisenmenger den starken Rückgang der Obduktionsrate in Deutschland. Wurden 1985 noch 5,6 Prozent der Toten obduziert wurden, sinkt dieser Anteil schnell in Richtung auf die 1%-Marke.


 

Wenn es um Mord und Totschlag geht, herrscht in Österreich mehr Rechtssicherheit  

Im Gegensatz beispielsweise zu Österreich, wo die Leichenschau nur von entsprechend ausgebildeten Ärzten durchgeführt werden darf, kümmert sich in Deutschland ausschließlich eine fachlich und psychologisch völlig überforderte Laienspielerschar – die Hausärzte nämlich – um die Entscheidung, ob eine natürliche Todesursache vorliegt. Und die finanziell oft mit dem Rücken an der Wand stehenden Hausärzte sind aufgrund ihrer gnadenlosen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Wohlwollen der in der unmittelbaren Nachbarschaft lebenden Patientenschar kaum motiviert und in der Lage, unpopuläre Maßnahmen wie die vorgeschriebene völlige Entkleidung der Leichen tatsächlich durchzusetzen.

Prof. Brinkmann und seinen Kollegen ist dieses Problem seit Jahrzehnten bekannt. In der
TV-Sendung „Report Mainz sagte der Experte: „Die Hausärzte sind erwiesenermaßen das schwächste Glied in der ganzen Kette. Diese sind aus verschiedenen Gründen befangen und fühlen sich auch am wenigsten frei.“

 

Gesetzgeber schließt erfahrene Notärzte von der Leichenschau aus 

Und obgleich die Situation den Politkern längst bekannt ist, wird es von Jahr zu Jahr immer schlimmer: seit kurzer Zeit dürfen laut Bestattungsgesetz sogar die weniger in der psychologischen Zwickmühle steckenden Notärzte die Leichenschau nicht mehr durchführen.
Prof. Brinkmann hat in diesem Zusammenhang beobachtet, daß bereits 20% weniger Todesfälle mit unklaren Todesursachen an die Polizei gemeldet wurden. Dementsprechend wies der Experte in dem Fernseh-Interview darauf hin, daß im gleichen Zeitraum auch die Zahl der bekannt gewordenen Tötungsdelikte um 20% zurückging.   

„Wenn auf jedem Grab eines Ermordeten ein Lichtlein stünde, wären unsere Friedhöfe hell erleuchtet“ ist eine immer wieder verbreitete Erkenntnis derer, die jeden Tag beruflich mit Mord und Totschlag zu tun haben. Doch dieser Verlust an Rechtssicherheit ist nur ein Teilaspekt eines viel größeren Problems.  

 

Deutsche Pathologen warnen vor dramatischen Qualitätsverlusten im Gesundheitswesen 

Da nur noch jeder fünfte Deutsche in den eigenen vier Wänden, bzw. außerhalb eines Krankenhauses stirbt, setzt sich das Dilemma auch im Krankenhaus fort.  Erst vor wenigen Wochen bestätigte der Berufsverband Deutscher Pathologen daher in einer Pressemitteilung abermals, daß in Deutschland viel zu wenige Leichenöffnungen (Obduktionen) durchgeführt werden.  Die Pathologen geben die derzeitige Rate mit 3% an, obgleich 30% wünschenswert wären.  Dadurch  - so die Experten - wird ein wichtiges „Zweitmeinungssystem“ zerstört, das im Rahmen des Qualitätsmanagements der Kliniken unverzichtbar ist.


Ansonsten ist die Leichenschau oft auch in der Klinik eine Farce: „Ein nachgeordneter Arzt wird sich schwer damit tun auf einem Totenschein „unklare Todesursache“ anzukreuzen, wenn der Verstorbene von seinem eigenen Vorgesetzten operiert wurde“ meint Professor Werner Schlake, Vorsitzender des Berufsverbandes deutscher Pathologen. Doch für ihn hat ein anderer Aspekt für die deutsche Öffentlichkeit die größte praktische Bedeutung. Mit Nachdruck verwies Schlake darauf, daß eine tatsachengesteuerte Langzeitplanung im Gesundheitswesen unmöglich ist, da die erforderlichen Planungsgrundlagen – in erster Linie also die Todesursachenstatistiken – falsch sind. Mit anderen Worten: „Grimms Märchen“  eignen sich nicht für die rationale Verteilung der knappen Ressourcen des Gesundheitswesens. 

 

Jede zweite Diagnose ist falsch oder  unvollständig 

Seit langem ist bekannt, daß bei fast der Hälfte der obduzierten Patienten keine Übereinstimmung zwischen der Obduktionsdiagnose und der ursprünglichen Leichenschaudiagnose besteht.  Hier könnte man noch nihilistisch sagen „Tot ist tot“. Doch eine andere Feststellung hat weit mehr praktische Konsequenzen: in einem hohen Prozentsatz besteht auch keine befriedigende Übereinstimmung zwischen den zu Lebzeiten eines Patienten gestellten Diagnosen und der Obduktionsdiagnose.  Auf Deutsch:  viele Patienten werden aufgrund falscher Diagnosen auch falsch behandelt. Denn nach wie vor gilt:  vor eine wirksame Therapie haben die Götter eine zutreffende Diagnose gesetzt.

Wenn Obduktionen  - unter anderem auch aufgrund der unsicheren Rechtslage sowie der Weigerung der Krankenkassen, die Kosten der Leichenöffnung zu übernehmen  - immer öfter unter den Tisch fallen, können die Ärzte auch nicht aus den gemachten Fehlern lernen. Die Qualität ihrer Berufsausübung sinkt daher mit jedem nicht entdeckten Fehler. Hier hat Prof. Schlake eine interessante Beobachtung gemacht: “Je besser ein Arzt fachlich ist, um so bereitwilliger räumt er eigene Fehler ein.“ 

 

Radikale Reformen sind überfällig 

Aufgrund der verfahrenen Situation sind mittlerweile radikale Reformen längst überfällig. Obduktionen dürfen nach Auffassung der Pathologen in Zukunft nicht länger die Ausnahme bleiben. Ihre Zahl sollte nach der Meinung von Prof. Schlake – wie in Skandinavien und England üblich – auf 30% der Todesfälle angehoben werden. Die Leichenöffnung muß im Bewußtsein der Öffentlichkeit als normale letzte Leistung des Gesundheitssystems fest verankert werden, die auch den Jungen und Gesunden  - den zukünftigen Patienten also - dient.

Und für das Gebiet der Rechtsmedizin fordert
Rolf Rainer Jaeger vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ebenfalls in „Report Mainz“:
„Wir müssen dafür sorgen, dass Hausärzte, Krankenhausärzte und Notärzte keine Leichenschauen mehr durchführen dürfen. Das muß Profis überlassen werden, die dafür speziell ausgebildet sind. Und außerdem müssen wir  eine ausreichende Zahl von Rechtsmedizinischen Instituten haben, damit wir die in unklaren Fällen vermehrt vorzunehmenden Obduktionen auch wirklich professionell durchführen können.“

 

 

 

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14.04.2019


 
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