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Die
französische Schriftstellerin Anne-Marie de Grazia berichtete
Dr. Kubitschek in einem persönlichen Schreiben über ihren
dramatischen Entschluss, sich beide Brüste als Vorbeugemaßnahme
gegen Brustkrebs amputieren zu lassen:
Der Leserbrief wird weitgehend im Originalwortlaut
abgedruckt - auf eine stromlinienförmige Redigierung wurde bewusst
verzichtet.
1995, als ich 46 Jahre alt war, traf ich eine der wichtigsten
Entscheidungen meines Lebens: ich ließ meine Brüste chirurgisch
entfernen. Ich hatte noch keinen Krebs. Zwischen dem Alter von
18 und 22 jedoch hatte ich den grausamen Kampf meiner Mutter
mit Brustkrebs durchgemacht. Ich wollte, wenn es irgendwie
möglich war, mir eine solche Erfahrung am eigenen Leibe ersparen.
Verstümmelung als Vorbeugung? War ich etwa verrückt? Auch diese
Möglichkeit musste ich wochenlang erwägen, bevor ich, mit der
Hilfe meines Mannes, meinen Entschluss fassen konnte. Das Mittel
war ja fast unerhört!
Im September 1994 meldete die Weltpresse über die Entdeckung
des ersten Brustkrebsgens: BRCA-1, and der Universität
von Utah. Zu diesem Anlass wurden epidemiologische Statistiken
zitiert, die zwar schon lange den Fachleuten bekannt waren,
aber selten in der Laienliteratur auftraten: gewisse Frauen
- und deren Zahl war keineswegs unbedeutend - hatten ein 86%
Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Bevor sie 50 Jahre alt waren,
litten schon 60% dieser Frauen an Brustkrebs. Wenn sie 60 wurden,
war ihr Risiko betrug das Risiko bereits 80%. Diese Frauen hatten
eine erbliche Belastung, die durch Brustkrebsfällen in ihren
Blutverwandten zum Vorschein kam. Trotzdem versicherten Brustkrebsexperten
in Bücher und Artikel, die an besorgte Frauen gerichtet waren,
immer wieder beruhigend dass niemand ein Risiko für Brustkrebs
haben kann, "der höher wäre als 27%!"
Meine Mutter war mit 47 gestorben, und dass ihre Krankheit
genetischen Ursprunges war wurde deutlich von der Tatsache,
dass alle drei Schwestern meiner Großmutter mütterlicherseits
im Alter zwischen 48 und 65 an Brust- bzw. dem verwandten Eierstockkrebs,
starben. Zwei Töchter eines Bruders meiner Großmutter erkrankten
auch an Brustkrebs. (Meine Großmutter selbst, die eine Trägerin
des Gendefekts sein musste, da ihre Tochter daran erkrankte,
starb krebsfrei im Alter von 86 - zweifellos eine der 14% Glückspilze.)
Das bedeutete, dass ich selbst eine 50% Chance hatte, diesen
86% Risiko von meiner Mutter geerbt zu haben. Für mich als Individuum
hieß das etwa nicht, dass ich ein 43% Risiko hatte, sondern
dass ich entweder ein 86% Risiko hatte oder, im glücklichen
Falle, nur das ca. 13% Risiko das alle Frauen, die nicht erblich
belastet sind, teilen. Es gab ein selten versuchtes Mittel,
das mein Risiko beträchtlich reduzieren konnte: prophylaktische
(vorbeugende) Mastektomie, und die wollte ich durchführen lassen.
Ich bin Französin, Autorin, im Elsass geboren, seit zwei Jahrzehnten
in Amerika verheiratet. Ich fand eine Krebschirurgin im bekannten
Robert Wood Johnson Hospital in New Jersey, die mit
meinen Ansichten in Bezug auf das Krebsrisiko völlig übereinstimmte,
und bereit war, die Operation durchzuführen. Ein Termin war
schon festgesetzt. Unsere amerikanische Krankenversicherung
verweigerte jedoch die Kostenübernahme . Trotz der eindeutigen
Stellungnahme der Chirurgin, behauptete die Krankenversicherung,
es bestehe überhaupt keinen Beweis dafür, dass eine Mastektomie
dem Brustkrebs effektiv vorbeuge. Die Krankenkasse würde jedoch
- so hieß es weiter - die Kosten unter Umständen
übernehmen: nämlich dann, wenn ich neben meiner Mutter auch
noch eine Schwester aufweisen konnte, die an Brustkrebs litt
- und damit konnte ich zum Glück nicht dienen!
Ich hatte überhaupt keine Geschwister, was ja auf keinen Fall
mein Risiko hätte beeinflussen können! So entschlossen wir uns,
die Operation auf eigene Kosten in Deutschland zu haben. Sie
wurde durch Dr. Werner Audretsch in 1995 im
Gerresheimer Krankenhaus, Düsseldorf unternommen.
Seitdem ist ein zweiter Brutskrebsgen, BRCA-2, entdeckt
worden, und Tests zur Identifizierung dieser Gendefekte sind
seit 1996 verfügbar geworden. Zwar nicht ohne Kampf!
Diese Tests wurden zuerst von den großen amerikanischen Labors
zurückgehalten, unter dem Vorwand, es sei besser für individuelle
Frauen, nicht zu wissen, ob sie ein so drastisch erhöhtes Risiko
für Brustkrebs hatten! Die Position der Labors konnte in der
Mekka des Freien Marktes nur wenige Monate aushalten: ein kleines
Labor in Fairfax, im Staate Virginia, bei Nahmen Genetiks and
I.V.F. Institute, brach bald Rang und Glied, und vermarkte den
Test auf dem Internet für 295 US$ an jeden, der interessiert
war. Und damit war die Katze aus dem Sack!
Die neue Mantra wurde: man kann nicht wissen, ob prophylaktische
Mastektomie zur langfristigen Vorbeugung von Brustkrebs eigentlich
wirksam ist, da fast niemand diese Operation je hatte. Und übrigens
würden Frauen ihre Brüste nicht aufgeben wollen, nur um womöglich
einer Krankheit vorzubeugen, die sie vielleicht überhaupt nie
gekriegt hätten!
Im Januar 1999, wurde die Kontroverse über die Wirksamkeit prophylaktischer
Mastektomie durch die Veröffentlichung einer Studie der renommierten
Mayo Clinic in Rochester, im Staate Minnesota, endgültig
gelegt: die Mayo Clinic hatte zwischen 1960 und 1993 an Frauen
mit mittlerem, bzw. hohem Brustkrebsrisiko rund 640 prophylaktische
Mastektomien vorgenommen und verfügte über eindrucksvolle, statistische
Daten in Sachen Vorbeugung von Brustkrebs durch Mastektomie.
Diese wurden nun sorgfältig untersucht und geeicht, und mit
Brustkrebsdaten für die (unoperierten) Schwestern der operierten
Frauen verglichen. (Natürlich wurden alle diese Eingriffe ohne
den Vorteil von Tests zur Entdeckung der Gendefekte vorgenommen).
Das Ergebniss war eindeutig: prophylaktische
Mastektomie verhinderte Brustkrebs in über 90% der operierten
Frauen, war also höchst effektiv in der Vorbeugung von Brustkrebs
in Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko.
Von den 214 operierten Frauen in der höchsten Risikogruppe,
erkrankten nur 3 an Brustkrebs (1,4%); von den 403 unoperierten
Schwestern dieser Frauen, erkrankten dagegen 156 (38,7%). Alles
in allem, scheiterte die Vorbeugung in 7 Fällen. Dazu muss noch
beigefügt werden, dass in diesen 7 Fällen, nur 2 der Frauen
starben. Die fünf übrigen sind nach durchschnittlich 10 Jahren
nach ihrer Diagnose am Leben und werden als krebsfrei betrachtet.
Ihr Krebs war an die Brustkastenwände beschränkt und konnte
lokal behandelt werden. Selbst im Falle einer verfehlten Vorbeugung,
ist also die Sterblichkeit reduziert.
Eines war sicher: das Opfern der Brüste
hatte sich für die operierten Frauen gelohnt.
Die Ergebnisse der Mayo-Clinic Studie sind eigentlich
konservativ, da etwa 90% der dort vorgenommenen vorbeugenden
Mastektomien die Brustswarzen bewahrten und das Brustgewebe
mit Prosthesen ersetzten, also mehr einer kosmetischen Operation
ähnlich waren. Diese besondere Operation ("subcutaneous
mastectomie") wird jetzt nicht mehr vorgenommen, da eine erhebliche
Zahl der etwa 10% gescheiterten Vorbeugungen eben doch Verkrebsung
der Brustwarze aufwiesen. In den 64 Fällen prophylaktischer
Mastektomie, in denen das Brustgewebe samt Brustwarze entfernt
wurde, trat kein einziger Fall von Brustkrebs auf.
Die bloße Zahl der Fälle ist aber zu klein, um dass man daraus
folgern könnte, dass die Vorbeugung 100% effektiv wäre. Doch
darf man hoffen dass mit Verallgemeinerung dieser radikaleren
Prozedur (die ich selbst hatte), die Resultate in der Zukunft
gut in die 95 bis 97 % erfolgreiche Vorbeugungen ergeben könnten
( an Mäusen durchgeführte Studien zeigten Erfolge von über 99%).
Trotzdem wird den Frauen automatisch beteuert, wenn prophylaktische
Mastektomie als eine Möglichkeit der Vorbeugung überhaupt erwähnt
wird, dass diese Operation "keinen 100%igen Schutz gegen Brustkrebs"
bringt. Gibt es auch nur eine medizinische Vorbeugungsmassnahme,
die sich einen 100prozentigen Erfolg zuschreibt? Trotz der eindeutigen
Ergebnisse der Mayo Clinic Studie bleibt unter der Rubrik
"Brustkrebs-Vorbeugung," in Deutschland sowie in den USA, prophylaktische
Mastektomie nach wie vor meistens verschwiegen!
Meine Schwägerin - eine Psychotherapeutin in New York - also
keineswegs eine unerfahrene Frau - bereute, als sie selbst im
Alter von 61 mit Bruskrebs erkrankte, dass niemand sie auf die
Möglichkeit einer prophylaktischen Mastektomie aufmerksam gemacht
hatte, obwohl zwei nahe Blutverwandten von ihr an Brustkrebs
gestorben waren. Sie hatte sich wegen ihrer Familienbelastung
besonderer Behutsamkeit unterzogen - und da wurde, was ja nicht
passieren sollte, durch Mammographie ein winziger Tumor, 1,5
mm groß, gefunden, der schon zwei Lymphknoten angegriffen hatte!
Frühe Entdeckung ist eben nicht Vorbeugung, und erblicher Brustkrebs
ist oft besonders aggressiv!
Eine Verwandte einer anderen Schwägerin dagegen hatte eine prophylaktische
Mastektomie vor acht Jahren, nachdem ihre Mutter und ihre Schwester
beide im Alter von 36 an Brustkrebs gestorben waren. In 1999
hat sich diese Frau dem BRCA Gentest unterzogen, und herausgefunden,
dass sie den Gendefekt überhaupt nicht hat. Sie hat das als
großartige Nachricht empfunden (da es bedeutet, dass ihre Kinder
und Nachkommen den Gendefekt nicht erben würden) und beteuert,
dass sie überhaupt keine Reue über den Verlust ihrer Brüste
empfindet, obschon nach dem Testergebnis sie die Operation eigentlich
nicht benötigt hätte...
Ihr Brustkrebsrisiko ist jetzt, wie meines, wesentlich kleiner
als das einer normalen Frau, die nicht erblich belastet ist.
Ich bin eine ziemlich gutaussehende, sehr
eitle Frau, keineswegs jenseits von Eros, und nehme Gefallen
an der Schönheit und Vollkommenheit von Mann und Weib, aber
ich fühle mich mit meiner Entscheidung und meinem verminderten
Risiko auch sehr gut.
Dr. Audretsch
ist ein Artist unter Brustchirurgen, und statt der üblichen,
geraden, uninspirierten Schnitten, gab er mir Narben mit einer
fast anmutigen Kurve nach oben. Trotzdem, Mastektomie ist eine
Verstümmelung, und ich brauchte fast ein Jahr, bevor ich meine
Narben, ohne meinen Blick abzuwenden, im Spiegel anschauen konnte.
Ich bin verstümmelt, aber Sterben
ist schlimmer!
Ich habe auf Brustwiederaufbauung verzichtet und habe doch,
mit der Hilfe von Yoga und vernünftigen Essgewohnheiten, einen
jetzt 51-jährigen Körper, der sich sehen lassen kann und den
ich selbst seit Jahren versöhnt, und sogar mit Gefallen, täglich
ansehe. Ich bin auch ganz sicher, dass ich durch den Verlust
meiner Brüste nichts an Liebe, Freundschaft oder Achtung anderer
eingebüßt habe.
Ich finde es sehr traurig, dass Frauen sterben müssen nur weil
man vermutet, dass sie nicht "mündig" genug sind, um über diese
radikale und hocheffektive Vorbeugungsmassnahme überhaupt Bescheid
zu wissen.
Anne-Marie de Grazia
Winter, 1999
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Dr.
med. Jochen Kubitschek , Arzt und Wissenschaftsjournalist
LaHave
Media Services Limited
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